Literarisch-soziologische Feldforschung: In Kooperation mit der Universität Leipzig begleiten drei „Überlandschreiberinnen“ die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen.
- Literarische Langzeitstudie mit den Autorinnen Manja Präkels (Brandenburg), Tina Pruschmann (Sachsen) und Barbara Thériault (Thüringen)
- Soziologische Auswertung durch die Universität Leipzig unter Leitung von Dr. Alexander Leistner
- Projektförderung durch die VolkswagenStiftung im Rahmen des Programms „Transformationswissen über Demokratien im Wandel – transdisziplinäre Perspektiven“
Leipzig, 12. Juni 2024. Im Vorfeld der Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen im September 2024 ist die Sorge groß, dass eines oder mehrere dieser Bundesländer künftig von der vom Verfassungsschutz als „in Teilen gesichert rechtsextrem“ eingestuften Partei Alternative für Deutschland (AfD) regiert werden könnten. Die Ergebnisse der gerade stattgefundenen Europawahl bestätigen diese Befürchtung: In allen drei Ländern wurde die AfD mit Abstand stärkste Kraft. Was aber bewegt die Wählerinnen und Wähler in Ostdeutschland, ihre Stimme der AfD zu geben, und welche konkreten Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben gehen damit einher?
Mit dem Projekt „Überlandschreiberinnen“ geht die Universität Leipzig neue Wege, um die Stimmungslage vor Ort sowohl vor als auch nach den Wahlen zu eruieren und schickt drei namhafte Autorinnen zur literarischen Feldforschung in die Provinzen.
„Die Berichterstattung über die Stärke extrem rechter Bewegungen und Parteien in Ostdeutschland fällt oft schablonenhaft aus“, erläutert Projektleiter Dr. Alexander Leistner. „Stimmen aus der Zivilgesellschaft gerade in kleinstädtischen und ländlichen Regionen werden kaum gehört, der Transformationsprozess der demokratischen Verhältnisse in Ostdeutschland gewöhnlich nur aus sicherem Abstand betrachtet. Daher haben wir beschlossen, neue Wege zur Erkundung der Stimmungen in den drei Bundesländern zu gehen.“
Während Kultursoziologe Leistner und seine Kollegin Dr. Judith Enders das Projekt wissenschaftlich begleiten, erkunden die Schriftstellerinnen Manja Präkels (Brandenburg), Tina Pruschmann (Sachsen) und Barbara Thériault (Thüringen) im Vorfeld und Nachklang der Wahl die Situation in den jeweiligen Bundesländern. Jede von ihnen verfolgt dabei ihre eigene individuelle Herangehensweise, um das politische Klima zu sondieren. Das Projekt startete bereits im April 2024 und läuft bis März 2025.
Manja Präkels (*1974 in Zehdenick/Mark), Autorin des mehrfach preisgekrönten Nachwende-Romans „Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß“ (Verbrecher Verlag) bereist als „rasende Reporterin“ ihr Heimatland Brandenburg, besucht Kulturprojekte, Schulen und Veranstaltungen im ländlichen Raum. Sie sagt: „Ich war schon in den Neunzigern als junge Journalistin im Land unterwegs, habe seither viele Kontakte gepflegt und auf meinen Lese- und Konzerttouren seither neue hinzugewonnen. Mich interessieren die Träume der Menschen, ihre Nöte und Lebensstrategien.“
Tina Pruschmann (*1975 in Schmalkalden), Autorin des Romans „Bittere Wasser“ (Rowohlt Verlag), der ostdeutsche Biographien in ihrer Komplexität thematisiert, macht sich mit dem Fahrrad auf, um auch die entlegensten Winkel ihres Heimatlandes Sachsen zu besuchen und mit den Menschen dort ins Gespräch zu kommen. Sie sagt: „Mich interessieren das in Sachsen so oft beschworene Idyll, und was sich dem fügen muss; das Ressentiment, und wie alt die Gefühle sind; die Leerstellen, die Eroberungen und Rückeroberungen von Räumen. Die Fahrradtouren geben mir die Möglichkeit, mich auf Unverhofftes einzulassen. .“
Die kanadische Autorin und Soziologin Barbara Thériault (*1972 in Lévis, Québec), die schon als Stadtschreiberin in Halle/Saale in Friseursalons und Barbiershops arbeitete, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und darüber das Buch „Abenteuer einer linkshändigen Friseurin“ (edition überland) verfasste, ist nun als Lokaljournalistin im Thüringer Wald unterwegs. Sie sagt: „Alltagsästhetik steht im Zentrum meiner Beobachtungen. Es geht darum einiges wahrzunehmen und sich nicht so viel vormachen, kleine Attentate auf die Gemütsruhe zu üben …“
Mit regelmäßigen Veröffentlichungen in der Tageszeitung „taz“ und anderen Medien sowie kurzen Beiträgen auf der Projektwebsite werden die drei Überlandschreiberinnen kontinuierlich Einblick in ihre literarische Feldforschung geben. Für die wissenschaftliche Auswertung ist das Team von Dr. Alexander Leistner und Dr. Judith Enders zuständig, die das Projekt mit klassischer soziologischer Datenerhebung und -analyse begleiten.
Begleitet wird die gemeinsame Arbeit zudem von einem Projektbeirat, dessen Mitglieder ihrerseits ganz unterschiedliche Perspektiven und Expertisen einbringen: David Begrich (Theologe & Rechtsextremismus-Experte), Dr. Patrice G. Poutrus (Historiker), Anne Rabe (Autorin), Dr. Nils Schuhmacher (Sozialwissenschaftler), Daniel Schulz (Journalist & Autor), Katharina Warda (Soziologin & Literaturwissenschaftlerin).
Das Projekt „Überlandschreiberinnen“ wird von der VolkswagenStiftung im Rahmen ihres Programms „Transformationswissen über Demokratien im Wandel – transdisziplinäre Perspektiven“ gefördert.
Weitere Information zum Projekt und den Autorinnen:
www.sozphil.uni-leipzig.de/institut-fuer-kulturwissenschaften/forschung/forschungsprojekte
presse@waysacrossthecountry.de
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