Ways across the country

Kategorie: Thüringen

Miss Mittelgebirge 1972

Ich kam in die Kleinstadt im Thüringer Wald. Weil der Friseursalon bekanntlich ein Schlüssel zur Stadt ist, hatte ich einen Termin in einem solchen Etablissement vereinbart. Mein Vorwand? Die Färbung der Haaransätze.

An dem Tag war ich erstaunlich wenig gesprächig. Ausgerechnet ich, die ein Loblied auf die Geselligkeit verfasst hatte,[1] fragte nichts, war maulfaul. Die Friseurin genauso. Musik füllte die Stille. Zum Beobachten spürte ich für meine Verhältnisse kaum Ansporn. Ich merkte etwas lustlos, dass der Salon gepflegt, sauber, bodenständig war.

Als die Friseurin dabei war, meine Farbe anzulegen, betrat eine weitere Kundin den Salon, die mit einer Handgeste gebeten wurde, sich in den Stuhl neben mich zu setzen. Sie – mittellanges Haar, keine oder kaum sichtbare Grauansätze – war nicht alt, sah dennoch gealtert aus.

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Foto: © Barbara Thériault

Alltagsnorm und Kampfansage: Warum wir über Neutralität reden müssen

Das könnte ein wichtiges Thema sein, meldet sich die eigene Erinnerung an die 1990er-Jahre-Jugend in einer ostdeutschen Kleinstadt. Während die Verfahren und Institutionen der jungen Demokratie Wurzeln schlugen, gab es einen Alltag, in dem der politische Kompass auf Schulhöfen, in Jugendclubs oder an der Tankstelle mit Fäusten justiert wurde – entlang der Frage: „Bist du rechts, links, neutral?“ ….

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Foto: © Alexander Leistner